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Interview mit Stephan Läderach – Business Consultant für Datenmanagement

Was gerade bei uns in der Schweiz noch von vielen unterschätzt wird, weil es sich zunächst „bloss“ um eine EU-Vorgabe handelt: Der Digitale Produktpass (DPP) kommt – und wird ab Januar 2027 für die ersten Produktgruppen verpflichtend sein. Damit sollen dann sämtliche für ein Produkt relevante Informationen schnell und einfach für alle Beteiligten verfügbar sein: von der Produktherkunft sowie den Herstellungsbedingungen über die enthaltenen Einzelkomponenten bis hin zu Reparaturmöglichkeiten und Informationen zur sachgerechten Entsorgung. Um das komplexe Thema greifbar zu machen und vor allem auch die eigene Situation besser einschätzen zu können, gibt unser Datenmanagement-Experte Stephan Läderach im Interview einen kompakten Rundumblick mit konkreten Handlungsempfehlungen und einem spannenden Perspektiv-Wechsel. Dabei richten sich die Informationen auch und insbesondere an Unternehmen aus der Schweiz, für die der Digitale Produktpass ebenfalls grosse Auswirkungen mit sich bringen wird.

Stephan, innerhalb des aclevion-Teams bist du der Experte für den Digitalen Produktpass – deswegen einmal ganz direkt gefragt: Warum ist die Beschäftigung mit dem Thema so wichtig? Immerhin handelt es sich hier um eine EU-spezifische Massnahme. Besteht da überhaupt Handlungsbedarf?

Auf jeden Fall! Denn der Digitale Produktpass betrifft letztendlich alle Unternehmen, die in irgendeiner Weise an Kunden in EU-Ländern verkaufen. Dabei geht es nicht allein um Endprodukte, sondern um jegliche Produkte innerhalb der Lieferkette, weil hier entsprechende Informationen für den DPP weitergereicht werden müssen. Und selbst wenn ich mit meinem Geschäft ausschliesslich innerhalb unserer Landesgrenzen operiere, ist eine konstruktive Auseinandersetzung wichtig. Immerhin besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Schweiz mit Regelungen nachzieht – was wahrscheinlich sogar am einfachsten ist für alle Beteiligten, weil dann einheitliche Verfahrensweisen auch über Landesgrenzen hinaus bestehen. Daher die klare Empfehlung: Wirklich alle Unternehmen aus Industrie und Handel sollten sich mit der Thematik befassen, um entsprechend vorbereitet zu sein.

Der Digitale Produktpass betrifft alle Unternehmen, die in irgendeiner Weise an Kunden in EU-Ländern verkaufen. Wirklich alle Unternehmen aus Industrie und Handel sollten sich mit der Thematik befassen, um entsprechend vorbereitet zu sein.

Stephan LäderachSenior Business Consultant

2027 – das ist ja eine zeitliche Dimension, in der sich noch einiges verändern kann. Sollten wir nicht lieber erst abwarten, wie sich die Dinge entwickeln?

Es ist definitiv so, dass noch nicht alle Details bekannt sind – zum Beispiel welche Informationen ganz genau in der jeweiligen Produktgruppe im DPP enthalten sein müssen. Und natürlich wissen wir nicht, ob sich noch die eine oder andere Besonderheit ergibt, die wir aktuell nicht absehen können. Aber die Grundzüge sind bekannt und statt nun in Wartestellung oder gar Verdrängung zu verharren und dann womöglich kurz vor Stichtag in Panik zu geraten, weil die Zeit drängt, ist die proaktive Auseinandersetzung mit dem Digitalen Produktpass die klügste Vorgehensweise. Zumal es hier ja letztendlich um den Austausch von Daten geht und damit um das allbekannte Thema Digitalisierung. Entweder sind schon gute Grundvoraussetzungen da – wie bei nahezu all unseren Kunden, die über eine entsprechende PIM-Lösung bereits umfangreiche, granular verfügbare Produktinformationen vorhalten. Dann lassen sich die nächsten Schritte mit Blick auf den DPP verhältnisweise einfach planen und umsetzen. Oder aber ein Unternehmen ist im Digitalisierungsprozess aus welchen Gründen auch immer noch nicht an diesem Punkt angelangt, dann ist es sowieso sinnvoll, die eigenen Prozesse und Daten auf einen zeitgemässen Stand zu bringen. Nicht allein für den Digitalen Produktpass, sondern um wettbewerbsfähig zu bleiben und den steigenden Anforderungen des Marktes dauerhaft gerecht zu werden.

Warum brauchen wir den Digitalen Produktpass überhaupt?

Seinen Ursprung hat der DPP in der Öko-Design-Verordnung der EU (Ecodesign for Sustainable Products Regulation – ESPR) – als wichtiger Beitrag zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft, die gerade in Europa zunehmend an Bedeutung gewinnt. Nicht nur auf Seite der Gesetzgebung, sondern ebenso bei den Verbrauchern: Ökologische Aspekte können sich auf Kaufentscheidungen auswirken und der Bedarf an Informationen zur Reparatur oder fachgerechten Entsorgung bzw. Recycling steigt. Mit dem Digitalen Produktpass haben Unternehmen künftig die Möglichkeit, solche Informationen und damit die Umweltbilanz eines Produkts transparent darzustellen – etwa durch Aussagen zu CO2-Emissionen, Ressourceneffizienz und Recyclingfähigkeit. Das sollten wir nicht als „Bürde“ betrachten, sondern als Chance, um unsere Produkte gegenüber dem Endkunden noch weitgreifender zu präsentieren. Zumal sich da auch fernab von Nachhaltigkeitsaspekten spannende Möglichkeiten auftun, die sich langfristig auf Kundenbindung und Umsatzzahlen auswirken – wenn wir sie zu nutzen wissen.

Ich gehe davon aus, dass sich die Sicht auf Produkte langfristig betrachtet massiv verändern wird. Mit dem Digitalen Produktpass steht uns ein zusätzlicher Kommunikationskanal zur Verfügung, den wir sehr vielseitig nutzen können. Einmal angestossen lassen sich die Möglichkeiten nahezu unendlich weiterdenken.

Ein interessanter Gedanke, den viele Unternehmen vermutlich noch gar nicht auf dem Radar haben. Inwieweit bietet der Digitale Produktpass auch geschäftsbezogene Chancen?

Naja, betrachten wir den DPP einmal unabhängig von Regularien und denken darüber nach, warum wir uns bewusst für eine Einführung entscheiden sollten. Stichwort Marketing: Plötzlich steht hier ein zusätzlicher Kommunikationskanal zur Verfügung, den wir sehr vielseitig nutzen können. Im DPP lagern Informationen zu zahlreichen Produktkomponenten, die sich mit passenden Service-Angeboten verknüpfen lassen. Zum Beispiel mit Blick auf Reparatur und Wartung: Über die gespeicherten Informationen kann der Zustand eines Produkts eingesehen werden, um dann Wartungsdienste einzubinden, die genau auf den tatsächlichen Gebrauch und die Nutzungshistorie eines Produkts abgestimmt sind. Ähnliches gilt für Upgrades und die Wiederaufbereitung von Produkten: Hersteller können durch den DPP Informationen über die Bauteile und den Zustand eines Produkts sammeln und so kostengünstigere Upgrades oder Refurbishment anbieten, wovon Kunden wie Unternehmen profitieren. Zusätzlich lassen sich personalisierte Angebote zu Zubehör, Software-Updates oder Serviceleistungen integrieren, die speziell auf die Nutzungshistorie und Präferenzen des Kunden zugeschnitten sind.

Überhaupt führen die erweiterten Produktinformationen zu einem besserem Kundenerlebnis und damit zu höherer Markenidentität und Kundenbindung: Über den digitalen Produktpass können Kunden auf detaillierte Informationen zugreifen, die über das klassische Etikett hinausgehen – beispielsweise mit Erklärungen zu Produktmerkmalen, Anwendungstipps oder Hinweisen zur energieeffizienten Nutzung. Dazu dann exklusive Angebote und mehr, schliesslich erlaubt dieser Kanal eine kontinuierliche Interaktion mit dem Kunden.

Einmal angestossen lassen sich die Möglichkeiten nahezu unendlich weiterdenken. Ich gehe davon aus, dass sich die Sicht auf Produkte langfristig betrachtet massiv verändern wird. Da ist es in jeder Hinsicht sinnvoll, diese Entwicklung möglichst früh mitzudenken und entsprechende Vorbereitungen zu treffen.

Okay, Notwendigkeit, Sinn und Chancen sind deutlich geworden. Wie ist das Ganze nun technisch umsetzbar?

Erst einmal ist natürlich eine solide Datenbasis wichtig: also umfassende Produktdaten in guter Qualität und in allen für das Unternehmen relevanten Sprachen zu haben – in digitaler Form und so, dass diese Daten ohne grösseren Aufwand betrachtet, aufbereitet und weiterverarbeitet werden können. Passende Software-Lösungen – allen voran PIM-Systeme – helfen Unternehmen dabei, dieses Ziel zu erreichen. Moderne PIM-Lösungen haben dazu den Vorteil, dass sie die notwendigen Schnittstellen für einen automatisierten Datenaustausch gleich mitliefern. Und damit eine gute Infrastruktur für alle weiteren Prozesse rund um den Digitalen Produktpass.

Wichtig ist auch, dass jedes Produkt eine eindeutige digitale Identität erhält, zum Beispiel durch eine GTIN, die im Produktpass hinterlegt ist. Dieser Produktidentifikator ermöglicht die Verknüpfung des Produkts mit seinen Daten. Damit der Verbraucher dann auf den DPP zugreifen kann, wird auf dem Produkt ein sogenannter „Data Carrier“ angebracht. Das kann ein QR-Code sein, es gibt aber auch andere Lösungen. Über den Data Carrier wird ein sogenannter Resolver aufgerufen, der dann wiederum die Verbindung zum DPP des entsprechenden Produkts herstellt.

Um es noch mal kurz auf den Punkt zu bringen: Es existieren bereits ausgefeilte Konzepte, um den Digitalen Produktpass Realität werden zu lassen. Letztendlich geht es für Unternehmen nun darum, die eigenen Daten entsprechend vorzubereiten und zu schauen, welche Form von Data Carrier für die eigenen Produkte zielführend ist und welcher Resolver eingesetzt werden soll.

Inwieweit könnt ihr Unternehmen bei der Vorbereitung unterstützen? Und warum siehst du auf Software-Seite die PIM-Lösung als Dreh- und Angelpunkt – und nicht beispielsweise das ERP-System?

Zunächst unterstützen wir natürlich mit unseren Kernleistungen: also der Beratung und Implementierung von Systemlösungen zur Verwaltung von Produktdaten. Insbesondere im Bereich der PIM-Systeme sind wir sehr gut aufgestellt und können passend zum diesbezüglichen Entwicklungsstand eines Unternehmens die nächsten sinnvollen Schritte begleiten – ob erstmalige Einführung einer PIM-Software, Ablösung eines bestehenden Systems oder Optimierung des bisherigen Datenmodells mit Blick auf die Anforderungen des DPP.

Was die Überlegenheit von PIM-Lösungen als Basis für den Digitalen Produktpass betrifft: Sie sind einfach bestens für die Anforderungen des DPP geeignet, weil sie genau dafür gebaut sind. Also unterschiedlichste Produktinformationen zusammenzuführen und über entsprechende Schnittstellen auszutauschen. ERP-Systeme dagegen sind vor allem auf die internen Prozesse aus dem Tagesgeschäft ausgelegt. Wo ich mir auch überlegen muss: Möchte ich überhaupt, dass hier so weitreichende Anbindungen im Zusammenhang mit zum Teil sehr sensiblen Daten bestehen?

Hinzukommt, dass die PIM-Hersteller bereits sehr aktiv in die Auseinandersetzung mit dem DPP gegangen sind. Da wird mit Hochdruck dran gearbeitet, es den Kunden so einfach wie möglich zu machen.

Angenommen ich möchte mich nun dem Thema widmen: Was sind meine ersten konkreten Schritte?

Wie bereits gesagt ist die solide Datenbasis wichtig. Deshalb der erste Schritt: Schaffen Sie die Voraussetzungen, um Ihre Produktdaten zentral zu verwalten – zum Beispiel über ein PIM-System. Anschliessend geht es darum, diese Daten auf „Tauglichkeit“ für den DPP zu überprüfen. Achten Sie dabei vor allem auf Informationen rund um:

  • Identität und Herkunft des Produkts
  • Zusammensetzung und Eigenschaften
  • Umweltauswirkungen
  • Reparatur- und Recyclingfähigkeit

Und falls Sie schon so weit sind: Stellen Sie sicher, dass Ihre Produkte über einen Produktidentifikator und einen Data Carrier verfügen, damit sind Sie dann gut vorbereitet und können beruhigt auf weitere Details zum DPP warten. „Alles ganz einfach“ wäre sicher zu viel versprochen. Aber all diese Anforderungen sind umsetzbar und Ihr proaktives Vorgehen wird sich langfristig auszahlen. Denn letztendlich handelt es sich um eine sinnvolle Investition in die Zukunftsfähigkeit Ihres Unternehmens.

Natürlich gilt: Wenden Sie sich gerne an uns, damit wir Sie bei allen Themen rund um Ihre Produktdaten unterstützen können. Schliesslich liegen genau hier unsere Stärken. Für unsere Kunden und ausgewählte Kontakte besteht ausserdem die Möglichkeit, am 06. Februar 2025 am aclevion Exchange in Zürich teilzunehmen. Dort wird der DPP eine zentrale Rolle spielen – unter anderem mit einem entsprechenden Vortrag von Dr. Uwe Rüdel von GS1 Switzerland – und Sie können sich zugleich mit Verantwortlichen aus anderen Unternehmen austauschen. Kontaktieren Sie mich gerne, wenn Sie Interesse an einer Teilnahme haben.